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Ein Missverständnis namens Twitter

Vor ein paar Tagen hat Twitter die ersten Quartalszahlen seit dem Börsenstart vorgelegt. Und die Anleger waren wenig begeistert. Ein zu langsamer Nutzeranstieg um 3,8 Prozent im Vergleich zum Vorquartal auf 241 Millionen, reale Verluste bei den Timeline-Ansichten führten zu einem knapp 25 prozentigen Verlust beim Börsenwert. Die Hoffnungen auf ein Facebook Number 2 haben sich nicht erfüllt. Und sie werden sich auch nicht so schnell erfüllen. Das sollte eigentlich jedem klar sein. Denn Twitter ist anders. Wie anders? Und verstehen dies alle?

Twitter Nutzerzahlen weltweit

Die Infografik von statista verdeutlicht das nur langsame Wachstum bei den Twitter-Nutzerzahlen

Twitter-Chef Dick Costolo hatte die Reaktion der Aktionäre und die darauf folgende vernichtende Kritik schon voraus gesehen. Sein Lösungsansatz: Twitter muss einfacher werden, ohne aber die bisherigen Heavy-Nutzer – in Deutschland laut ARD-ZDF-Onlinestudie gerade mal 270.000 tägliche Nutzer – zu verschrecken. Schließlich tragen diese bisher Twitter.

Eine seiner angedeuteten Ideen: Twitter bekommt eine – hoffentlich parallele – Timeline, die nicht die Beiträge nach Aktualität sondern Themen aufführt. Dass dies bereits heute möglich ist, wird jedem Listen-Nutzer bekannt sein. Nur wer kennt und nutzt diese wirklich, abgesehen von den Heavy-Nutzern?

Außerdem will er einen seit Jahren üblichen Ansatz aus den anderen Sozialen Netzwerken übernehmen: Den Adressabgleich. Jeder, der sich derzeit bei Facebook, Instagram, WhatsApp & Co. anmeldet, erhält von Anfang an die Option, sich anzeigen zu lassen, welche seiner Netzwerkfreunde, seiner E-Mail- und Telefonkontakte das Netzwerk bereits nutzen. Und bei Twitter? Neu-Nutzer bekommen vorwiegend US-Promis und bekannte Firmen-Accounts vorgeschlagen, mit denen nicht nur Newbies kaum etwas anfangen können. Würde dieser – weg vom Broadcast- hin zum Friendship- – Ansatz Twitter näher an die Massen der anderen Netzwerke heranrücken, etwas weniger elitär denn massentauglich werden? Vermutlich.

Was soll ich mit Twitter anfangen?
Doch meiner Einschätzung nach geht das Missverständnis noch weiter. In meinen Workshops und Coachings bekomme ich immer wieder die Frage, was man mit Twitter anfangen könnte. Während fast alle bei Facebook, viele bei Instagram sind, ist die Zahl der Twitter-Nutzer unter den aus- und weiter zu bildenen Kommunikationsexperten gering. Gerade 10 Prozent nutzen Twitter schätzungsweise wirklich. Weitere 20 Prozent haben es mal probiert, es dann aufgegeben und sind nicht mehr wiedergekommen – ein weiteres Kernproblem von Twitter. Der Rest fragt sich: „Was soll ich mit Twitter„? Auch wenn diese Beobachtungen keineswegs repräsentativ sind, glaube ich trotzdem, dass genau in dieser Frage ein großes Twitter-Problem liegt. Bei Facebook tauscht man sich mit seinen Freunden aus, findet alte Freunde wieder und lernt dazu ein paar Unternehmen kennen – ob zu Servicezwecken, als Schnäppchenjäger oder als Gewinnspiel-Nomade. Aber was soll und kann ich genau mit Twitter anfangen? Bei was hilft es mir? Und über was soll ich überhaupt twittern?

Als Journalist wurde ich immer angehalten, meine angedachte Geschichte in einem Satz vorzustellen. Beispielsweise: „Ich will eine Geschichte über die aktuellen Trends im Online-Journalismus schreiben.“ Oder: „Meine Story ist ein Portrait über die erste deutsche Medaillengewinnerin, die noch heute lebt.“ Doch wie heißt dieser kompakte Küchenruf bei Twitter? Wenn ich Twitter erkläre, dann beschreibe ich meist die vielen Möglichkeiten, die Twitter bietet: Service, Personal Branding, Antwort auf Fragen, Beobachtung der Konkurrenz etc.. Twitter sei ein grandioses Nachrichtenmedium, Themenseismograph, Feedbackkanal aber auch eine tägliche Inspirationsquelle, so einige meiner Lobpreisungen. Nur ist diese Aussage wirklich wegführend? Oder ist sie für Newbies nicht eher verwirrend? Brian Solis beschrieb Twitter vor ein paar Jahren damit, dass es sich weniger um ein soziales Netzwerk, denn „a series of interconnected social nicheworks“ handelt. Ist solch eine Aussage wirklich massentauglich, anziehend und Lust machend? Oder steckt nicht gerade in diesem „Alles aber nichts Konkretes“ das Kernproblem?

Twitter braucht eine klare Definition
Wenn ich darüber nachdenke, dann wird mir immer klarer, dass Twitter künftig viel klarer betonen muss, was Twitter ist und was es bieten kann. Ob in einem kompakten Satz oder in einer breiten Kampagne aus vielen in einem Netzwerk zusammengesetzten Aussagen. Es muss heraustreten aus diesem kleinen und oft wirklich feinen Netzwerk der Medienmacher, Kommunikationsleute und Marketingexperten, der Politiker und Promis und sich der Masse offensiv öffnen. Es muss sich quasi von der Geliebten einiger Kommunikationsexperten zu einer Liebeswiese der Menschen entwickeln, die sich dort gerne und regelmäßig zum quatschen und kuscheln treffen. Nur dann wird es der Masse an Menschen aufzeigen können, wobei ihnen Twitter alles helfen könnte. Dies muss sich wiederum in einer deutlich offensiveren Plattformstrategie widerspiegeln, wie es der große Bruder Facebook gerade aktuell vormacht.

Ansonsten wird Twitter weiterhin das Netzwerk der Networker, der Multiplikatoren und auch der Wichtigtuer bleiben. Vielleicht ist dies aber gar nicht so schlimm. Im Gegenteil. Nur die Anleger werden kaum glücklich sein. Aber die hätten es auch schon früher wissen sollen, das Twitter nicht Facebook heißt und dass eine Bewertung zum Börsenstart von 36 Milliarden Dollar dem Netzwerk nicht angemessen ist. Obwohl: Wie heißt nochmals dieses blaue Netzwerk, das nach dem Börsenstart so stark abgestraft und von so vielen belacht wurde, und das gerade die besten Quartalszahlen überhaupt vorgelegt hat? Ach ja, Facebook. Aber bei denen weiß man ja auch jeder, was er dort machen kann.

Über dominikruisinger

Ideen, Gedanken, Anmerkungen von Dominik Ruisinger – Journalist, Dozent, Coach, PR-Berater, Autor der Fachbücher 'Online Relations' und 'Public Relations' - heute nur noch aktiv auf https://www.dominikruisinger.com

Diskussionen

4 Gedanken zu “Ein Missverständnis namens Twitter

  1. Ich glaube, es ist gar nicht schlimm, wenn Twitter das Netzwerk der Networker bleibt, denn die verteilen die Infos in ihre Netzwerke und das über andere Kanäle. So gesehen ist Twitter eine Art Meta-Netzwerk.

    Der Vorteil liegt aber auch darin, dass Twitter nicht einfach so wie Facebook mein soziales Umfeld abbildet, sondern mit Hilfe der Hashtags Netzwerke schafft, die sich an Themen orientieren. Insofern ist Twitter viel offener und bietet mir sehr viel bessere Möglichkeiten, Menschen zu erreichen, die ich über Facebook nicht erreiche.

    Verfasst von Christian Henner-Fehr | 13. Februar 2014, 6:54 pm
    • Stimme ich dir zu. Darum ist ja auch dieser Begriff „Ein Netzwerk von Nischennetzwerken“ entstanden. Und diesen finde ich persönlich auch hoch spannend und extrem nützlich, u.a. auch zum Themen entdecken. Nur kapiert das die Masse? Natürlich hast du recht, dass Twitter gerne ein kleines Multiplikatoren-Netzwerk bleiben sollte. Nur hätte Twitter dafür bitte nicht an die Börse gehen sollen. Denn jetzt wird Druck ausgeübt. Und wenn Twitter nicht wächst, wird irgendwann ein G oder F oder etc. einsteigen. Dass dies dann nichts Gutes heißt, das wissen wir ja schon ….

      Verfasst von dominikruisinger | 14. Februar 2014, 9:36 am
    • Da gebe ich dir vollkommen recht. Nur: Damit bleibt Twitter aber auch das Netzwerk der Networker. Denn für die Masse ist das nur schwer verständlich. Wenn Twitter nicht diese Masse erreicht, bin ich nicht unglücklich. Nur besteht die Gefahr, dass sich Twitter deswegen vom Börsendruck her stark verändern muss/wird. Und ob dies immer positiv sein muss ….

      Verfasst von dominikruisinger | 19. Februar 2014, 11:24 pm

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