Im Blog von Vincenzo Cosenza habe ich mir gerade die Entwicklung der Sozialen Netzwerke etwas genauer angesehen. Eine Farbe ist beispielsweise seit Dezember 2011 nicht mehr zu erkennen, die noch im Juni (siehe Bild) vorhanden war: Die Farbe pink – alias Orkut. Wenn man heute gerade in Seminaren und Trainings den Namen Orkut fallen lässt, entsteht meist ein großes Fragezeichen über den Köpfen. „Orkut? Was ist denn das?“ Googles erstes Soziales Netzwerk. „Wirklich? Nie gehört.“
Der Orkut-Start
Rückblick: Im Januar 2004 startet Google Orkut, benannt nach dem Google-Entwickler und -Mitarbeiter Orkut Büyükkökten. Gerade in Brasilien, aber auch in Indien gewinnt Orkut schnell Verbreitung, während die Bekanntheit in der restlichen Welt – spätestens mit dem Aufkommen von Facebook – gering bleibt. Ich kenne beispielsweise niemanden, der dieses Netzwerk einst genutzt hat bzw. heute noch nutzt. Aber es soll diese ganz vereinzelt auch bei uns geben. Noch.
Wirft man einen Blick auf die sich verändernde „World Map of Social Netzworks“, dann hat Orkut zwischen Juni und Dezember 2009 als erstes Indien verloren und zwischen Juni und Dezember 2011 dann auch Brasilien. Natürlich jedes Mal an den Platzhirsch Facebook. Interessant ist aber, dass sich Orkut trotzdem in beiden BRIC-Ländern noch heute auf Platz 2 (Brasilien) bzw. Platz 3 (Indien) hält.
Der allmähliche Absturz in die Bedeutungslosigkeit
Wenn man sich die Suchvolumina per Google Trends ansieht, fällt auf, dass die Kurve mit den Suchanfragen bis 2008 stark angestiegen ist – entspricht in etwa dem Zeitpunkt, ab dem Facebook international immer stärker wurde –, sich daraufhin bis Mitte 2011 auf einer ähnlichen Ebene bewegt hat und danach abgestürzt ist. Die Suchanfragen selbst stammen bis heute weiterhin vor allem aus Brasilien und dann – mit kräftigem Abstand – aus Indien.
Der Niedergang lässt sich auch per Alexa nachvollziehen: Die aktuelle Besucherzahlen-Statistik zeigt, dass Orkut heute auf Platz 45 in Brasilien und auf Platz 451 in Indien gefallen ist – und allein innerhalb der letzten drei Monate 30 Prozent der Besucher verloren hat.
Zeitlich parallel dazu ist das Facebook-Wachstum in Brasilien und in Indien mit das stärkste weltweit. Allein innerhalb der letzten sechs Monate sind laut socialbakers deren Nutzerzahlen um jeweils 18 Prozent gestiegen, was beide Länder auf die Plätze 2 und 3 hinter den USA gehievt hat. Damit zählen sie zu den am stärksten wachsenden Facebook-Nationen überhaupt – übertroffen nur von den asiatischen Ländern Japan, Südkorea und Vietnam. Wenn man diese beiden Entwicklungen – Rückzug von Orkut, Ein- und Anstieg bei Facebook – in einen Topf wirft, dann darf man durchaus die These wagen, dass das Facebook-Wachstum dieser Länder vor allem aus der Orkut-Flucht herrührt. Doch was ist eigentlich mit Orkuts Herrn, also Google?
Selbstversuch: Besuch bei Orkut
Ich lese wie hier immer wieder, dass es Google plant, sein ehemals beliebtestes Netzwerk vom Netz zu nehmen. Warum ist dem Technologieriesen nicht stattdessen gelungen, Orkut international viel stärker zu pushen, um die gewaltigen Nutzermassen in diesen Riesenländern gerade heute für Google+ zu gewinnen? Oder passiert das vielleicht gerade schon? Also ran an den Selbstversuch!
Meine Ankunft auf orkut.com ist schon ziemlich strange: Da ich bei Google angemeldet bin, bin ich auch automatisch bei Orkut bereits angemeldet, was mich doch etwas misstrauisch macht. Als nächstes wundere ich mich, dass ich in meinem Profil, das ich nie zuvor angelegt habe, mein aus Google+ gezogenes Foto, meine E-Mail-Adresse und mein Geburtsdatum zu sehen bekomme. Auch meine auf Google+ geteilten Bilder sind integriert. Nicht dass ich dies jetzt inhaltlich besonders schlimm finde: Nur warum hat mich denn Freund Google nicht gefragt, als er ohne mein Wissen für mich dieses Netzwerk-Profil eingerichtet hat?
In den Einstellungen ist standardmäßig angegeben, dass die allgemeinen Informationen (darunter fallen Adresse, Familienstand, Alter etc.), der Standort (Stadt/Land), Berufliches (rund um den Job) und Soziale Netzwerke (ein ganz abenteuerliche Beschreibung für ein Angaben-Mix rund um Kinder, Ethnie, Religion, Politik, Humor, sexuelle Orientierung(!), Kleidungsstil, Rauch- und Trinkgewohnheiten(!), Haustiere oder Wohnsituation (neben weiteren) mit „nur meine Freunde“ können es sehen, eingestellt ist.
Weniger gefällt mir, dass in der Rubrik „Privat“ (dazu zählen Augen- und Haarfarbe, Statur, Aussehen ;-), Bestes Merkmal (auch herrje) und natürlich Vorlieben „jeder in orkut“ die Angaben sehen kann. Ganz und gar nicht gefällt mir, dass wie unter „Datenschutz“ angegeben, standardmäßig eingestellt ist, dass jeder mir Freundschaftsanfragen senden – okay, das überlebe ich noch – aber ich auch Personen erlaubt habe, mich über meine E-Mail-Adresse zu finden. Danke, ich habe das nicht so eingestellt.
Daten-schauriger Umgang
Weiter entdecke ich unter den orkut-Einstellungen unter dem Reiter „Google+“, wer mir das alles eingebrockt hat: Denn „Angesagte Beiträge aus Google+ auf orkut anzeigen“ und vor allem „Google+ Informationen in meinem orkut-Profil anzeigen“, ist standardmäßig angeklickt. Auch hierfür herzlichen Dank. Natürlich kann man an dieser Stelle die Verbindungen zwischen dem Google+-Profil und dem orkut-Profil kappen. Nur muss man so weit erst einmal kommen. Für wirkliches Vertrauen sorgt dies bei mir nicht gerade.
Ansonsten ist Orkut doch die Werbeplattform für Google+: Über die Startseite werden angesagte Beiträge auf Google+ integriert, in der rechten Spalte werden mir gerade Landau Media, Kuble AG (kenne ich nicht, warum die?) und Deutschlandfunk empfohlen. Wer und wie bestimmt eigentlich diese Empfehlungen? Auch Google Talk ist geöffnet und zeigt mir die gerade für einen Chat bereiten Kontakte.
Bitte schließen!
Eigentlich finde ich es immer schade, wenn ein Projekt wie hier ein Netzwerk geschlossen wird. Und dass dies auf absehbare Zeit passieren wird, lässt sich sowohl an der Orkut-nach-Facebook-Fluchtbewegung in den Ländern Brasilien und Indien sowie dem erheblichen Engagement zu Gunsten von Google+ deutlich erkennen. Nur nach meinen eigen daten-schaurigen Erfahrungen kann es mir mit der Schließung ehrlich gesagt nicht früh genug gehen. Ein Ruhmesblatt ist dieser Stand heute auch für Google nicht. Oder habt ihr andere Erfahrungen gemacht?
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